Die Tachinger Waldrappen stellen sich vor

    Wer in den folgenden Wochen und Monaten in den Himmel sieht, wird die ein oder andere Überraschung erleben – eine Flugformation von zwei Ultraleicht-Fluggeräten und 36 jungen Waldrappen kreist über den Landkreis. Denn das Waldrappteam hat sein Trainingslager in Taching am See in Bayern aufgeschlagen. Sie befinden sich auf dem wunderschönen Bio-Bauernhof Schröckenbauer, wo sie von Frank Filliung und Christine Schachenmaier beherbergt werden. Die beiden sind wunderbare Gastgeber und haben uns geholfen, uns im schönen Bayern so richtig willkommen zu fühlen!
    Das Waldrappteam ist für das Management des zweiten europäischen LIFE-Projekts zur Wiederansiedlung des Waldrapps zuständig und arbeitet daran, diese einst ausgestorbenen Vögel wieder in Europa anzusiedeln und ihnen eine Migrationsroute in den Süden zu vermitteln.
    Die Waldrappe waren bis Anfang des 17. Jahrhunderts bei uns im Alpenvorland heimisch, wurden aber durch intensive Bejagung ausgerottet und überlebten nur vereinzelt in Zookolonien. Da der Waldrapp ein Zugvogel ist, der die Zugroute von seinen Eltern lernt, müssen nun Menschen diese Aufgabe übernehmen: Denn die leiblichen Zooeltern haben die Migrationsroute verlernt und können sie ihren Jungen nicht beibringen.

    Seit 2004 leitet das Waldrappteam daher junge, von menschlichen Bezugspersonen aufgezogene Waldrappe mittels Ultraleicht-Fluggeräten von Brutgebieten nördlich der Alpen in das WWF-Schutzgebiet Laguna di Orbetello in der südlichen Toskana, um sie dort auszuwildern. Seit 2023 führt die Migrationsroute jedoch nördlich der Alpen vorbei nach Andalusien zum Partnerprojekt Proyecto Eremita, da durch den Klimawandel die Vögel zu spät in ihr Wintergebiet fliegen. Dieser spätere Start für die Migration macht es den Vögeln unmöglich, die Thermik zu erwischen, die sie brauchen, um über die Alpen zu kommen.

     

    Die Küken werden im Alter von wenigen Tagen aus Nestern in Zookolonien entnommen. Die Küken kommen in die Obhut von zwei menschlichen Bezugspersonen. Nur diese Zieheltern haben Kontakt zu den Vögeln und verbringen den ganzen Tag mit ihnen. So erfolgt die Elternprägung in den ersten zwei Lebenswochen ganz spezifisch auf diese beiden Personen. Wir praktizieren eine sogenannte sozial involvierte Handaufzucht (socially involved handraising). Dies bedeutet, dass die Bezugspersonen direkt und intensiv mit den Vögeln interagieren. Sie tragen keine Maske und verwenden keine Attrappen. Lediglich eine gelbe Oberkleidung soll den Vögeln beim späteren Training das Erkennen der Bezugspersonen aus Distanz erleichtern. Diese Elternprägung führt zu einer sozialen Bindung, die durch dauernde Anwesenheit der beiden Bezugspersonen, die tägliche Betreuung und intensive soziale Interaktionen mit jedem einzelnen Vogel weiter stabilisiert und intensiviert wird. Ein starkes „soziale Band“ ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die Vögel später den Zieheltern in den Fluggeräten über hunderte Kilometer zuverlässig folgen.

    Der ausschließliche Kontakt zu den beiden Bezugspersonen gewährleistet, dass die Vögel nach der Auswilderung keine generelle Affinität zu Menschen zeigen. Sie können Menschen sehr gut unterscheiden und noch nach Jahren ihre Zieheltern erkennen.

     

    Ende Mai, im Alter von etwa sechs bis sieben Wochen, werden die Waldrappe flügge. Anfang Juni beginnt das Flugtraining. Dafür ist das Camp immer am Rande einer geeigneten Start- und Landepiste aufgerichtet. Dank der intensiven Bindung zu ihren Bezugspersonen können die Jungvögel langsam an das Fluggerät, den Motorlärm und den großen Paraschirm gewöhnt werden. Anfangs fährt das Fluggerät nur am Boden, ohne Schirm. Erst wenn die Vögel dem Gerät folgen, kommt der Schirm zum Einsatz. Die Flüge erfolgen auf gemähten Wiesen in einem immer größeren Radius um das Camp. Das Training erfolgt mit einem Fluggerät. Die beiden Piloten, Johannes Fritz und Walter Holzmüller, wechseln sich ab und auch die beiden Bezugspersonen fliegen abwechselnd als KopilotInnen mit. Ab Mitte Juli finden ausgedehnte Trainingsflüge mit 70 km und mehr Flugstrecke statt. Erst bei den letzten Trainingsflügen gegen Ende Juli kommt ein zweites identes Fluggerät zum Einsatz. So können beide Zieheltern mitfliegen. Das erhöht die Motivation der Vögel. Zudem führt der Formationsflug beider Fluggeräte bei den Vögeln zu einem stabileren Flugverhalten.

     

    Anfang August kommen die wildlebenden Waldrappe in Zugbereitschaft und verlassen die Brutgebiete. Damit ist auch für die handaufgezogenen Jungvögel die Zeit zum Start der menschengeführten Migration gekommen. Die menschengeleitete Migration startet im Trainingscamp. Geflogen wird in Tagesetappen von 100-300 Kilometer, abhängig von den Wetterbedingungen und den geografischen Barrieren. Die aktive Fluggeschwindigkeit der Vögel und der Fluggeräte liegt bei 40-45 km/h. Durch Rückenwind kann sich die Reisegeschwindigkeit auf über 100 km/h steigern, allerdings kann Gegenwind die Reisegeschwindigkeit auch minimieren oder auch ein Vorwärtskommen verunmöglichen. Die Flugformation, bestehend aus den beiden Fluggeräten und den Vögeln, wird von einem Bodenteam begleitet. Dieses besteht in der Regel aus 8-10 Personen mit unterschiedlichen Aufgaben. Zumindest ein Fahrzeug begleitet die Formation und hält über Funk Kontakt. Das restliche Team baut nach dem Start das jeweilige Camp ab, einschließlich einer 9*12 Meter großen Voliere, und fährt dann zum Ort, an dem die Flugformation inzwischen gelandet ist. In der Regel ist das ein kleiner Flugplatze. Dort werden das Camp und die Voliere wieder aufgebaut. Auf einen Flugtag folgt ein Pausentag. Wetterbedingt kann sich der Zwischenaufenthalt auch verlängern. Die Vögel bleiben in der Zeit in der Voliere und werden von den Zieheltern intensiv betreut. Für die Flugstrecke von rund 2700 Kilometer in das Wintergebiet in Andalusien werden etwa 20 Flugetappen benötigt.

     

    Nach der Ankunft im Wintergebiet werden die Jungvögel für einige Wochen in einer Voliere gehalten. Dort werden sie von der intensiven Betreuung durch die Zieheltern entwöhnt und können sich an das neue Umfeld gewöhnen. Dann findet die Auswilderung statt.

    Die freifliegenden Vögel suchen in der Regel rasch den Kontakt zu den wilden Artgenossen und fügen sich in die Kolonie überwinternder Vögel ein. Bereits im darauffolgenden Frühjahr unternehmen die noch nicht geschlechtsreifen Vögel erste Ausflüge Richtung Norden. Einzelne Jungvögel können sogar bis in das Brutgebiet fliegen. Spätestens mit Erlangen der Geschlechtsreife im dritten Jahr kehren die ausgewilderten Vögel im Frühjahr in ihre Brutgebiete zurück, um dort zu brüten. Für die Tachinger Waldrappe planen wir eine Anbindung an das Brutgebiet in Burghausen. Die aufwachsenden Jungvögel folgen dann ohne weitere menschliche Einwirkung im Herbst ihren zugerfahrenen Artgenossen. So entsteht eine neue Zugtradition.

    Wir haben im Juni und Juli immer von Freitag bis Sonntag 15:00 - 17:00 Uhr Besuchszeiten in unserem Migrationscamp. Die Besucher können die Vögel aus der Entfernung in der Voliere beobachten und mehr über das Projekt erfahren. Wir bitten Sie, keine Hunde mit ins Camp zu bringen und nicht in der Nähe der Vögel zu sprechen.

    Lisa-Maria Weber

     

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